Angeb. Fehlbildungen

Unter einer congenitalen Anomalie (angeborenen Fehlbildung) wird eine strukturelle oder irreversible funktionelle Normwidrigkeit pränatalen Ursprungs verstanden, die zum Zeitpunkt der Geburt vorhanden ist und während der Gravidität, zur Geburt, während des Lebens oder post mortem diagnostiziert werden kann.

In der Bundesrepublik Deutschland sind angeborene Fehlbildungen die zweithäufigste Ursache der Säuglingssterblichkeit und häufigste Todesursache im Kindesalter. Ein Viertel aller kindlichen Todesfälle steht in Zusammenhang mit angeborenen Malformationen.

Mit zunehmender Beherrschung der neonatalen Asphyxie, der hochgradigen Frühgeburtlichkeit und der neonatalen Infektionen, nimmt die Bedeutung von congenitalen Anomalien für die Morbidität und Mortalität im Säuglings- und Kindesalter zu. Metaanalysen haben ergeben, dass

  • etwa 10 % aller angeborenen Anomalien monogen bedingt sind,
  • in ca. 5 % ursächlich Chromosomenstörungen vorliegen,
  • in ca. 5 % bestehende mütterliche Erkrankungen als fehlbildungsauslösend in Frage kommen,
  • es sich bei 20 % um polygen multifaktoriell bedingte Erkrankungen handelt und
  • für etwa 60 % der Fehlbildungen die Ursachen immer noch unklar sind.

Bis in die 30-er Jahre des vorigen Jahrhunderts waren auch Mediziner der Meinung, dass sich entwickelndes Leben im Mutterleib weitgehend vor schädigenden äußeren Einflüssen geschützt sei. Als anlässlich einer Rötelnepidemie 1941 in Australien der australische Arzt Gregg die Rötelnembryopathie beschrieb, wurde klar, dass der Organismus der Mutter und die fetoplazentare Einheit nicht in der Lage sind, eine Virusinfektion des Föten oder des Embryos zu verhindern. Diese Erkenntnis führte zu einer völlig veränderten Betrachtungsweise der Möglichkeiten von Störungen der Embryonalentwicklung des Menschen.

Wir wissen heute, dass nicht nur Virusinfektionen, sondern auch radioaktive Strahlen und chronische Erkrankungen der Mutter, wie Epilepsie oder Diabetes mellitus, zu Schäden des Kindes führen können und spätestens seit der Thalidomid-Affäre von 1958 bis 1962 wurde deutlich, dass Medikamente und damit chemische Verbindungen überhaupt die fetale und embryonale Entwicklung beeinflussen können.

Bei einem Teil der polygen-multifaktoriell bedingten und den in ihrer Ätiologie unklaren angeborenen Anomalien ist davon auszugehen, dass exogene Faktoren eine auslösende oder mitauslösende Rolle spielen.

Um diese Teratogene zu erkennen, muss bekannt sein, wie häufig Fehlbildungen in einer Population "natürlicherweise" auftreten. Nur dann kann ein Häufigkeitsanstieg einer Fehlbildung als statistisch signifikant definiert werden.

In vielen europäischen und außereuropäischen Ländern entstanden nach dem Contergan-Ereignis Erfassungssysteme für angeborene Anomalien, aus denen sich internationale Registersysteme, wie EUROCAT (European Surveillance of Congenital Anomalies) und das ICBDSR (International Clearinghouse for Birth Defects Surveillance and Research) entwickelten.

In beiden Teilen Deutschlands wurden in der Mitte der 50-er Jahre des vorigen Jahrhunderts zwar Meldepflichten für angeborene Anomalien oder Fehlbildungen eingeführt, denen jedoch nie so vollständig nachgekommen wurde, dass eine epidemiologische Auswertung dieser Daten zu brauchbaren Ergebnissen führte.

1993 unternahm die Bundesärztekammer in Form einer Empfehlung ihres wissenschaftlichen Beirates den Vorstoß, eine Erfassung von Fehlbildungen in der Bundesrepublik Deutschland einzuführen. Bei einer allgemeinen Fehlbildungsrate von 5 % wurde von diesem Gremium eine jährliche Gesamtzahl von 44.000 fehlgebildeten Kindern angenommen. In diese Hochrechnungen waren damals die neuen Bundesländer noch nicht einmal eingeschlossen. Diese Bemühungen der Bundesärztekammer scheiterten ebenso, wie die Versuche einer Arbeitsgruppe leitender Ministerialbeamter der Bundesländer, ein bundeseinheitliches Fehlbildungsregister zu organisieren.

Außer einer Arbeitsgruppe an der Universitätskinderklinik Mainz und dem Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt sind in der Bundesrepublik derzeit keine weiteren Einrichtungen mit der Erfassung angeborener Fehlbildungen und Anomalien befasst.

Voraussetzung für die epidemiologische Aussagefähigkeit eines Fehlbildungsregisters ist die Kenntnis der Größe der beobachteten Population. Dazu bieten sich administrative Einheiten, wie die eines Bundeslandes an, deren Bevölkerung durch ein statistisches Landesamt erfasst wird. Erst die Kenntnis der jährlichen Geborenenrate bietet die Möglichkeit, wahre Häufigkeiten angeborener morphologischer Veränderungen zu erkennen und Prävalenzberechnungen durchzuführen.

In der Bereitstellung von so genannten "Basisprävalenzen" und deren Analyse über die Zeit besteht die hauptsächliche Aufgabe eines Fehlbildungsmonitoring. Damit sind die Voraussetzungen erfüllt, um:

  1. eine detaillierte Suche und Erfassung von bislang nicht beobachteten Fehlbildungskombinationen durchzuführen und damit die Einwirkung eines möglichen Teratogens frühzeitig aufzudecken,
  2. zeitliche und geographische (regionale) Cluster angeborener Anomalien als einen möglichen Indikator neuer oder spezifischer exogener Noxen (Teratogene) und eine eventuelle Zunahme der teratogenen Belastung der untersuchten Bevölkerung zu erkennen,
  3. eine Datenbasis zu erstellen, die als Grundlage für darüber hinaus gehende klinisch-epidemiologische Forschungen und für die Determinierung ätiologischer Faktoren dient und
  4. durch die Daten des Fehlbildungsmonitoring die Prüfung des Einflusses einer verbesserten medizinischen Betreuung, z. B. der pränatalen Diagnostik oder der Wirksamkeit fehlbildungspräventiver Maßnahmen zu erreichen

Die Ergebnisse der Fehlbildungserfassung erscheinen jährlich in einem Bericht des Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt. Mit diesem Bericht informiert das Fehlbildungsmonitoring über die fehlbildungsbedingte Morbidität und Mortalität im Bundesland Sachsen-Anhalt.
 

Angeborene Hörstörungen - Neugeborenen-Hörscreening

Das Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt erfasst außerdem zentral die Ergebnisse des Neugeborenen-Hörscreening. Kinder, die nach der Geburt keinen Hörtest erhalten haben bzw. bei denen das Hörscreening auffällig war, werden nachverfolgt, um eine rechtzeitige Diagnostik und ggf. Therapieeinleitung zu gewährleisten. Dieses sog. Tracking (= Nachverfolgung) geschieht in enger Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Neugeborenenscreening.

Weitere Informationen zum Neugeborenen-Hörscreening erhalten Sie hier.

Letzte Änderung: 19.10.2023 - Ansprechpartner: Fehlbildungsmonitoring